Blog Post

Wirtschaftsjuristinnen und -juristen in der Insolvenzverwaltung

Alexander Keilbach • 5. Juni 2022
Der vorliegende Blogbeitrag stammt vom Wirtschaftsjuristen Alexander Keilbach (LL.M.). Sprache und Inhalt des Beitrages obliegen dem Verfasser.

Im Grundstudium zum Bachelorabschluss wurde uns neben juristischen Grundlagen auch betriebs- und volkswirtschaftliches Wissen vermittelt. Nicht zu knapp wurde auch „Vertragsgestaltung“ gelehrt. 

Schon während des Studiums fragte ich mich, ob es einen Beruf gibt, in dem all diese theoretischen Kenntnisse benötigt werden. Viele meiner KommilitonInnen arbeiteten später in Berufen, in denen entweder eher die juristischen Kenntnisse oder eher die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse gefragt waren. Ich wählte jedoch das Studium des Wirtschaftsrechts gerade deshalb, weil ich die Kombination aus Beidem spannend fand.

Bereits während des Studiums fand ich dann einen Job, in dem beide Fachgebiete nahezu ausgeglichen benötigt wurden: die Insolvenzverwaltung

Aktuell werden überwiegend RechtsanwältInnen, SteuerberaterInnen und WirtschaftsprüferInnen vom Gericht zu Insolvenzverwalterinnen und -verwaltern bestellt (Gemäß einer Statistik der Jahre 2008 bis 2018 wurde bei Unternehmensinsolvenzen rund 95% InsolvenzverwalterInnen bestellt, die über eine Anwaltszulassung verfügten). Da jedoch ein bestimmter Berufsabschluss nicht verlangt wird, ist es nicht ausgeschlossen, dass auch WirtschaftsjuristInnen zu InsolvenzverwalterInnen bestellt werden. In der jüngeren Vergangenheit werden diese tatsächlich vermehrt bestellt. Die WirtschaftsjuristInnen verfügen nämlich schon durch die im Rahmen des Studiums vermittelten Kenntnisse über fundierte Rechtskenntnisse sowie über das erforderliche betriebswirtschaftliche und ökonomische Wissen. 

Gerade zu Beginn eines Insolvenzverfahrens, das regelmäßig mit einem sog. vorläufigen Insolvenzverfahren beginnt, stehen eine Vielzahl von Aufgaben auf der To-Do-Liste. Auf der juristischen Seite stehen insbesondere die rechtliche Prüfung von unterschiedlichen Sachverhalten. Insbesondere müssen Verträge und Lieferanten-AGB geprüft werden, die Werthaltigkeit etwaig vorhandener Vermögenswerte und eine lieferantenbezogene Inventur muss veranlasst werden. Diese ganzen Sachverhalte und eine ganze Menge mehr sind sodann in dem Insolvenzgutachten festzuhalten. Bei der Verfassung dieser Gutachten (und im Falle der Verfahrenseröffnung auch bei der Abfassung des weiteren Berichtswesens gegenüber dem Insolvenzgericht) kommt den WirtschaftsjuristInnen das im Studium vermittelte juristische Handwerkszeug zu Gute. 

Aber nicht nur juristische Kenntnisse sind erforderlich, um ein umfangreiches und lückenloses Insolvenzgutachten erstellen zu können. Neben der Einschätzung der Werthaltigkeit evtl. vorhandener Vermögenswerte sind die vorliegenden Buchhaltungsunterlagen auf mögliche weitere Vermögenswerte zu untersuchen und die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens anhand von betriebswirtschaftlichen Bilanzkennzahlen darzustellen und zu analysieren. Hier stehen ganz klar die betriebswirtschaftlichen Ausprägungen des Studiums im Vordergrund. Gerade gegenüber den klassischen VolljuristInnen haben die WirtschaftsjuristInnen in diesem Bereich einen wesentlichen Vorteil. 

Die im Studium des Wirtschaftsrechts vermittelten betriebswirtschaftlichen und ökonomischen Kenntnisse sind aber noch in einem anderen Zusammenhang essenziell. Wenn der Geschäftsbetrieb eines insolventen Unternehmens zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung bzw. Anordnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens noch nicht eingestellt ist, müssen InsolvenzverwalterInnen entscheiden, ob der Geschäftsbetrieb zumindest kostendeckend fortgeführt werden kann. Zur Entscheidungsfindung werden dabei nicht nur die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen der Vergangenheit herangezogen, sondern muss auch die zukünftige Umsatzentwicklung sicher prognostiziert werden. Auch hierbei genießen die WirtschaftsjuristInnen einen Vorteil in der Ausbildung gegenüber den VolljuristInnen. 

Eines der möglichen Sanierungsinstrumente im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellt die sog. übertragende Sanierung dar. Hierbei werden lediglich die Vermögenswerte (nur die Aktiva ohne Passiva) auf einen neuen Rechtsträger (sog. Asset-Deal) übertragen. Die umfangreichen Module der Vertragsgestaltung geben den WirtschaftsjuristInnen eine gute Grundlage zur Abfassung entsprechender Unternehmenskaufverträge. 

Nach einem Bachelorabschluss wird an vielen Hochschulen der Master mit Spezialisierung auf das Sanierungs- und Insolvenzrecht angeboten. Aber auch andere Masterstudiengänge, wie z.B. der Master in Steuerrecht eigenen sich hervorragend für den Beruf der Insolvenzverwaltung. 

Neben den vorgenannten Themen stehen - wie bei einem gesunden Unternehmen auch - viele steuerliche Themen auf der Tagesordnung. Hinzu kommen dann noch Besonderheiten im Hinblick auf die Besteuerung insolventer Unternehmen. 

Alles in allem ist das Berufsbild der InsolvenzverwalterInnen sehr abwechslungsreich und unfassbar spannend. Mit dem Studium des Wirtschaftsrechts und einer entsprechenden Berufserfahrung im Insolvenzbereich steht meines Erachtens nichts mehr im Wege, wenn noch mehr WirtschaftsjuristInnen diesen Beruf ergreifen und sich bei den Insolvenzgerichten listen lassen, damit diese persönlich - und nicht nur in der verfahrensleitenden Sachbearbeitung - zu InsolvenzverwalterInnen bestellt werden können. 
von Martin Lager 8. November 2024
Gemeinsame Presseerklärung vom Deutschen Anwaltverein (DAV), der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), dem Deutschen Richterbund (DRB), dem Deutschen Juristinnenbund (djb), dem Deutschen Juristentag (djt), der Neuen Richtervereinigung (NRV), dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und der Vereinigung der Wirtschaftsjuristinnen und -juristen (VWJ). Den Rechtsstaat auch in der Krise bewahren: Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts stärken Berlin. Nach dem Bruch der Ampelkoalition werden auch zahlreiche rechtspolitische Vorhaben nicht mehr umgesetzt. Die geplante Grundgesetzänderung zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts ist aber von so herausragender Bedeutung für den Rechtsstaat, dass alle demokratischen Parteien sich dafür einsetzen müssen, die Reform noch vor den angestrebten Neuwahlen zu beschließen. Die Verbände fordern, das in erster Lesung bereits konsentierte und überparteiliche Projekt jetzt zügig abzuschließen. Den demokratischen Parteien im Bundestag ist es gelungen, gemeinsam ein gutes Konzept zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts vorzulegen. Jetzt gilt es, die erarbeiteten Gesetzesentwürfe zur besseren Absicherung des Gerichts schnellstmöglich zu verabschieden. Das gehört zu den vordringlichsten Aufgaben bis zum Jahresende. Es darf nicht sein, dass das Erreichte wegen des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode doch noch scheitert. Es wäre unverantwortlich, wenn ein besserer Schutz des Karlsruher Gerichts vor gezielten Eingriffen oder Blockaden am parteipolitischen Streit über die Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Ampel scheitern würde. Wir appellieren daher dringend an alle demokratischen Fraktionen im Bundestag: Beschließen Sie jetzt die notwendigen Änderungen des Grundgesetzes, um das Bundesverfassungsgericht als Bollwerk der Demokratie zu stärken.
von Martin Lager 7. Juli 2024
Nathalia Schomerus referierte am 27.02.2024 bei der VWJ im Rahmen der monatlichen Present Your-Vortragsreihe mit dem Titel „ Mit Vertragsklauseln chatten: Was kann generative KI im Rechtsbereich? “. Inhalt des Vortrags: Was meint eigentlich „semantische Suche“, „Vektorisierung“, „Annotierung“, „RAG“ oder „Halluzination“? Wie kann uns das bei der juristischen Arbeit unterstützen? Welche Entwicklungen sind schon abzusehen, welche eher nicht? Was sind technische und rechtliche Unwägbarkeiten? Und was haben Bagel und Chihuahuas mit der Zukunft des Rechtsmarktes zu tun? Diese und mehr Fragen wurden im Vortrag beantwortet.
von Martin Lager 25. April 2023
Niklas Lassen und Matthias Osing referierten am 21.02.2023 bei der VWJ im Rahmen der monatlichen Present Your-Vortragsreihe mit dem Titel „ Kein/e Anwält:in benötigt: Vertragsgeneratoren als Motor der Innovation “. Inhalt des Vortrags: Durch eine Reihe von Entscheidungen im Bereich Legal Tech sorgte der Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahren für eine voranschreitende Liberalisierung des Rechtsdienstleistungsmarktes und somit für zunehmenden Unmut in der Anwaltschaft. Niklas Lassen und Matthias Osing erläuterten in diesem Vortrag, wie der Gesetzgeber auf diese Entscheidungen reagierte und welche Möglichkeiten sich daraus für eine mögliche Selbstständigkeit von Wirtschaftsjurist:innen ergeben. Die beiden Gründer berichteten aus eigener Erfahrung über die Funktionsweise ihrer Vertragsgeneratoren sowie von Chancen und Stolpersteinen der frühen Phase der Selbstständigkeit.
von Laura Herr 5. Februar 2023
Am Freitag, den 03.02.2023, fand unsere erste Präsenzveranstaltung des Jahres 2023 statt: der VWJ x TQG Legal Tech Dialog . Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner der The Quality Group GmbH konnten wir einen zertifizierten Workshop in Berlin ausrichten. Neun Mitglieder folgten der Einladung, wobei es besonders schön war, neue und bereits bekannte Gesichter auch vor Ort zu sehen. Steffen Schaar (Mitglied der Geschäftsführung der TQG) und Samuel Marcius (Customer Engagement Manager & Creative Process Advisor der TQG) nahmen dabei die weite Reise aus Böblingen auf sich, um mit Blick über die Dächer Berlins rund um das Thema Legal Tech – digitales Arbeiten mit Service Workflows zur Effizienzsteigerung im Arbeitsalltag zu referieren. Dabei gingen sie unter anderem auf Potentiale im digitalen Alltag von Organisationen und auf die Erarbeitung von nachhaltigen, verbindlichen Mechanismen im Umgang mit Wissen, Daten, und Dokumenten sowie auf die praktische Erarbeitung von Qualität und Verbindlichkeit in der Ablauforganisation mittels Workflows (BPMN 2.0) ein. Wie der Veranstaltungstitel erahnen lässt, handelte es sich um einen Dialog zwischen den Referenten und den Teilnehmenden. Ganz nach dem Motto „Jeder kann programmieren“ wurde ein Workflow nach den Anforderungen der Teilnehmenden erstellt. Wir danken der TQG für diese hochrelevanten Informationen und dem spannenden Austausch!
von Lucas Zoller 29. Januar 2023
Prof. Dr. Michael Fuhlrott referierte am 26.01.2023 bei der VWJ im Rahmen der monatlichen Vortragsreihe „Present Your …“ mit dem Titel „Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – oder: Stempelst Du schon?“.
von Dominik Meinshausen 31. Dezember 2022
Rückblick auf die VWJ-Geschehnisse des Jahres 2022
von Arne Freese 29. Dezember 2022
Die VWJ thematisiert die Ungleichheit der Nutzungsvoraussetzungen des beA-Postfachs. In diesem Beitrag wird Stellung bezogen und Handlungsbedarf aufgezeigt.
von Martin Lager 4. August 2022
Die VWJ bezieht Stellung zur emotional diskutierten Thematik eines integrierten Bachelors (LL.B.) im Jurastudium. Dabei legen wir unsere Ansicht zu den notwendigen Rahmenbedingungen einer etwaigen Einführung dar und ergänzen die Diskussion um eine neue Perspektive: die der Wirtschaftsjuristinnen und -juristen.
von Martin Lager 14. Juni 2022
Hintergründe zum Cover & Interview des DiALOG-Magazins mit einigen aktiven Mitgliedern der VWJ
von Tessa Irrgang 20. Februar 2022
Wirtschaftsrecht - ein Studiengang, aber zu viele Möglichkeiten? Nichts Ganzes und nichts Halbes? Keine umfassende juristische Breitbandausbildung im klassischen Sinne, keine Staatsexamina, ein die Entscheidungsunfreudigkeit der heutigen Jugend förderndes Konstrukt? Die negative Kritik an der Modernisierung der juristischen Ausbildungsmöglichkeiten ist groß. Und doch öffnet genau dieses Studium den Absolventinnen und Absolventen einen Zugang zum Markt, der kaum Grenzen aufweist. Durch gesellschaftsrechtliche und liegenschaftsrechtliche Nischenspezialisierung bereitete mich das Studium nicht nur auf einen sauberen Einstieg in Unternehmen oder Wirtschaftskanzleien vor, sondern bot mir die Möglichkeit, mit tiefgreifendem rechtlichen Verständnis in einen relativ exklusiven Teil des Marktes einzusteigen - ins Notariat - und das, ohne Volljuristin zu sein. Der Notar als Öffentliche Stelle in seiner ganzen Ehrwürdigkeit bleibt in Berlin eine geschützte Position, nur erreichbar über die Befähigung zum Richteramt und eine qualifizierte Weiterbildung zum Anwaltsnotar. Ich muss zugeben, dass ich dieser Tatsache kritisch gegenüberstehe, stellt unsere spezialisierte wirtschaftsjuristische Ausbildung mit Praxisbezug doch in meinen Augen eine ebenso solide Grundlage dar, um indirekt die Wirtschaftswelt mitzugestalten. Doch natürlich, es gibt eben juristische Bereiche, die unser Studium nicht abdeckt, wie das im Notariat so wichtige Erb- und Familienrecht. Ist dies der springende Punkt, weshalb es uns verwehrt bleiben sollte, die Weiterbildung zum Notar oder zur Notarin zu absolvieren? Eine Weiterbildung, die noch einmal eben jene Themenschwerpunkte notarspezifisch aufarbeitet und aus einem neuen Blickwinkel lehrt? Obwohl doch das Metier des Notars eine einzigartige Brücke bildet, zwischen einer staatlichen Institution und der Wirtschaftswelt. Ebenso wie auch der Beruf des Wirtschaftsjuristen eine Brücke schafft zwischen Wirtschaftswelt und dem Rechtswesen. Während ich so über die Parallelen und Diskrepanzen dieser Gegenüberstellung grübele, bleibt mir wohl doch erst einmal nur die Position als qualifizierte Mitarbeiterin im Notariat, um die Wirtschaftswelt indirekt mitgestalten zu können. In den Bereichen des Vertragswesens, der Gründungsprozesse, bei der Begleitung der Gesellschaften im Alltagsgeschäft und natürlich im allumfassenden Immobilienwesen kann ich mein Studium direkt in die Praxis umsetzen, doch immer mit dem Hintergedanken, dass meine Ausbildung so viel mehr Potential schafft. Vielleicht ist es an der Zeit umzudenken und mit moderner Umstrukturierung des Rechtswesens die Exklusivität der Notariate ein Stück weit aufzubrechen und Raum zu geben, für modernes Denken und Anpassung an die junge, aufgeschlossene Nachwuchsgeneration der Wirtschaftsjuristinnen und Wirtschaftsjuristen.
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