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Recap: Present Your with Prof. Dr. Michael Fuhlrott

Lucas Zoller • 29. Januar 2023

Prof. Dr. Michael Fuhlrott referierte am 26.01.2023 bei der VWJ im Rahmen der monatlichen Vortragsreihe „Present Your …“ mit dem Titel „Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – oder: Stempelst Du schon?“. 

 

Inhalt des Vortrags: Das Bundesarbeitsgericht hat im letzten Jahr eine aufsehenerregende Entscheidung getroffen, wonach Unternehmen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen müssen. Was genau besagt die Entscheidung, für wen gilt diese und wie muss eine Zeiterfassung ausgestaltet sein? Michael Fuhlrott erläutert in seinem Vortrag die Entscheidung und deren Hintergründe und gibt einen Ausblick, was Unternehmen künftig in Sachen Arbeitszeiterfassung beachten müssen.Text


VWJ: Arbeitgeber warten seit mehr als drei Jahren nach dem berühmten „Stechuhr-Urteil“ des EuGH auf konkrete Regelungen zur Art und Weise der Zeiterfassung. Löst der Beschluss des BAG vom 13. September 2022 (BAG, Az. 1 ABR 22/21) dieses Thema nun? 

Prof. Dr. Michael Fuhlrott: „Die „Lösung“ der Zeiterfassung präsentiert das Bundesarbeitsgericht mit seinem Beschluss nicht. Konkrete Handlungspflichten gibt der Senat den Unternehmen hingegen schon auf. Letztlich bleibt aber vieles im Unklaren: Dass das deutsche Arbeitszeitrecht nicht unionsrechtskonform ist und den Vorgaben des „Stechuhr-Urteils“ des Europäischen Gerichtshof aus Mai 2019 nicht entspricht, war in der Arbeitsrechtsrechtswelt unlängst bekannt. In diese Richtung hatten sich bereits die vom Bundesarbeits- und Bundeswirtschaftsministerium jeweils gesondert bestellten Gutachter Anfang des Jahres 2020 geäußert. Allerdings ging die ganz herrschende Meinung bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass es erst eines Tätigwerdens des Gesetzgebers hierzu bedurft hätte. An dieser Stelle hat das Bundesarbeitsgericht den Gesetzgeber nunmehr überholt und ihn gewissermaßen vor vollendete Tatsachen gestellt. Die arbeitsschutzrechtliche Norm, auf die sich das Bundesarbeitsgericht stützt, ist aber sehr pauschal und wenig konkret. Die weitere Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung ist damit nur in Ansätzen durch die Entscheidung geregelt, es bleiben Spielräume und teilweise auch offene Fragen, die der Gesetzgeber ausfüllen bzw. klären sollte.“


VWJ: Ist die sog. Vertrauensarbeitszeit für deutsche Unternehmen jetzt vom Tisch?

Prof. Dr. Michael Fuhlrott: „Hierauf gibt es die schönste aller juristischen Antworten: Es kommt darauf an. Nämlich darauf, was man unter Vertrauensarbeitszeit versteht und wie man diese definiert. Heißt Vertrauensarbeitszeit, dass ich selbstbestimmt dann arbeiten kann, wann ich möchte und ich also berechtigt bin, meine Zeit selbst einzuteilen? Wenn man dies unter Vertrauensarbeitszeit versteht, ist Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich. Die Entscheidung verbietet also insoweit kein selbstbestimmtes Arbeiten. Heißt für mich Vertrauensarbeitszeit aber, dass ich meine Arbeitszeit nicht erfassen und Lage, Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie meine Pausen nicht aufzeichnen muss? Wenn ich Vertrauensarbeitszeit so verstehe, wird dies nicht mehr möglich sein.“ 


VWJ: Besteht jetzt sofortiger Handlungsbedarf für Unternehmen, da ansonsten Bußgelder verhängt werden könnten?

Prof. Dr. Michael Fuhlrott: „Das Bundesarbeitsgericht leitet aus dem Arbeitsschutzgesetz eine bereits jetzt bestehende Pflicht zur Zeiterfassung ab. Diese besteht, ohne dass es einer weiteren Umsetzung bedarf und ohne „Schonfrist“. Danach besteht bereits jetzt sofortiger Handlungsbedarf. Gelegentlich liest man, dass kein Grund zum Tätigwerden bestehe, da das Gericht ja nur über einen Einzelfall entschieden habe und eine Entscheidung nur Bindungswirkung zwischen den Parteien entfalte. Das mag formal richtig sein, ist in meinen Augen aber keine gangbare Handlungsalternative für Unternehmen, insbesondere mit Blick auf zwingenden Arbeitnehmerschutz und Compliance. Über die Auslegung von Gesetzen sind Gerichte berufen. Man mag sicherlich darüber streiten, ob die unionsrechtskonforme Auslegung des Bundesarbeitsgerichts so zwingend ist ober überzeugt. Aber letztlich hat das Bundesarbeitsgericht es so entschieden. Und das gilt nun für die Praxis.
Unmittelbare Bußgelder wegen Nicht-Erfassung der Arbeitszeit dürften indes derzeit nicht drohen. Denn ein Verstoß gegen § 3 ArbSchG, also gegen die Norm, aus der das BAG die Verpflichtung zur Zeiterfassung herleitet, ist nicht unmittelbar bußgeldbewehrt. Der Verstoß stellt damit keine Ordnungswidrigkeit i.S.v. § 25 ArbSchG dar. Demnach müsste das Amt für Arbeitsschutz bzw. die Gewerbeaufsicht also zunächst eine konkrete, auf das Unternehmen bezogene Anordnung zur Arbeitszeiterfassung aussprechen. Nach § 22 Abs. 3 ArbSchG wäre dies möglich ist. Erst wenn diese Anordnung nicht befolgt würde, drohen Geldbußen.“



Mehr zur Person
Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg, wo er von 2013 bis 2022 u.a. den Studiengang Wirtschaftsrecht (LL.B.) als Studiendekan verantwortete. Daneben ist er als Fachanwalt für Arbeitsrecht tätig und berät mit seiner Kanzlei FHM Unternehmen und Personalabteilungen in allen Bereichen des Arbeitsrechts. Er referiert regelmäßig zu aktuellen Themen und ist ein gefragter Interviewpartner der Tagespresse (Funk, Fernsehen und Radio).


von Martin Lager 8. November 2024
Gemeinsame Presseerklärung vom Deutschen Anwaltverein (DAV), der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), dem Deutschen Richterbund (DRB), dem Deutschen Juristinnenbund (djb), dem Deutschen Juristentag (djt), der Neuen Richtervereinigung (NRV), dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) und der Vereinigung der Wirtschaftsjuristinnen und -juristen (VWJ). Den Rechtsstaat auch in der Krise bewahren: Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts stärken Berlin. Nach dem Bruch der Ampelkoalition werden auch zahlreiche rechtspolitische Vorhaben nicht mehr umgesetzt. Die geplante Grundgesetzänderung zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts ist aber von so herausragender Bedeutung für den Rechtsstaat, dass alle demokratischen Parteien sich dafür einsetzen müssen, die Reform noch vor den angestrebten Neuwahlen zu beschließen. Die Verbände fordern, das in erster Lesung bereits konsentierte und überparteiliche Projekt jetzt zügig abzuschließen. Den demokratischen Parteien im Bundestag ist es gelungen, gemeinsam ein gutes Konzept zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts vorzulegen. Jetzt gilt es, die erarbeiteten Gesetzesentwürfe zur besseren Absicherung des Gerichts schnellstmöglich zu verabschieden. Das gehört zu den vordringlichsten Aufgaben bis zum Jahresende. Es darf nicht sein, dass das Erreichte wegen des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode doch noch scheitert. Es wäre unverantwortlich, wenn ein besserer Schutz des Karlsruher Gerichts vor gezielten Eingriffen oder Blockaden am parteipolitischen Streit über die Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Ampel scheitern würde. Wir appellieren daher dringend an alle demokratischen Fraktionen im Bundestag: Beschließen Sie jetzt die notwendigen Änderungen des Grundgesetzes, um das Bundesverfassungsgericht als Bollwerk der Demokratie zu stärken.
von Martin Lager 7. Juli 2024
Nathalia Schomerus referierte am 27.02.2024 bei der VWJ im Rahmen der monatlichen Present Your-Vortragsreihe mit dem Titel „ Mit Vertragsklauseln chatten: Was kann generative KI im Rechtsbereich? “. Inhalt des Vortrags: Was meint eigentlich „semantische Suche“, „Vektorisierung“, „Annotierung“, „RAG“ oder „Halluzination“? Wie kann uns das bei der juristischen Arbeit unterstützen? Welche Entwicklungen sind schon abzusehen, welche eher nicht? Was sind technische und rechtliche Unwägbarkeiten? Und was haben Bagel und Chihuahuas mit der Zukunft des Rechtsmarktes zu tun? Diese und mehr Fragen wurden im Vortrag beantwortet.
von Martin Lager 25. April 2023
Niklas Lassen und Matthias Osing referierten am 21.02.2023 bei der VWJ im Rahmen der monatlichen Present Your-Vortragsreihe mit dem Titel „ Kein/e Anwält:in benötigt: Vertragsgeneratoren als Motor der Innovation “. Inhalt des Vortrags: Durch eine Reihe von Entscheidungen im Bereich Legal Tech sorgte der Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahren für eine voranschreitende Liberalisierung des Rechtsdienstleistungsmarktes und somit für zunehmenden Unmut in der Anwaltschaft. Niklas Lassen und Matthias Osing erläuterten in diesem Vortrag, wie der Gesetzgeber auf diese Entscheidungen reagierte und welche Möglichkeiten sich daraus für eine mögliche Selbstständigkeit von Wirtschaftsjurist:innen ergeben. Die beiden Gründer berichteten aus eigener Erfahrung über die Funktionsweise ihrer Vertragsgeneratoren sowie von Chancen und Stolpersteinen der frühen Phase der Selbstständigkeit.
von Laura Herr 5. Februar 2023
Am Freitag, den 03.02.2023, fand unsere erste Präsenzveranstaltung des Jahres 2023 statt: der VWJ x TQG Legal Tech Dialog . Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner der The Quality Group GmbH konnten wir einen zertifizierten Workshop in Berlin ausrichten. Neun Mitglieder folgten der Einladung, wobei es besonders schön war, neue und bereits bekannte Gesichter auch vor Ort zu sehen. Steffen Schaar (Mitglied der Geschäftsführung der TQG) und Samuel Marcius (Customer Engagement Manager & Creative Process Advisor der TQG) nahmen dabei die weite Reise aus Böblingen auf sich, um mit Blick über die Dächer Berlins rund um das Thema Legal Tech – digitales Arbeiten mit Service Workflows zur Effizienzsteigerung im Arbeitsalltag zu referieren. Dabei gingen sie unter anderem auf Potentiale im digitalen Alltag von Organisationen und auf die Erarbeitung von nachhaltigen, verbindlichen Mechanismen im Umgang mit Wissen, Daten, und Dokumenten sowie auf die praktische Erarbeitung von Qualität und Verbindlichkeit in der Ablauforganisation mittels Workflows (BPMN 2.0) ein. Wie der Veranstaltungstitel erahnen lässt, handelte es sich um einen Dialog zwischen den Referenten und den Teilnehmenden. Ganz nach dem Motto „Jeder kann programmieren“ wurde ein Workflow nach den Anforderungen der Teilnehmenden erstellt. Wir danken der TQG für diese hochrelevanten Informationen und dem spannenden Austausch!
von Dominik Meinshausen 31. Dezember 2022
Rückblick auf die VWJ-Geschehnisse des Jahres 2022
von Arne Freese 29. Dezember 2022
Die VWJ thematisiert die Ungleichheit der Nutzungsvoraussetzungen des beA-Postfachs. In diesem Beitrag wird Stellung bezogen und Handlungsbedarf aufgezeigt.
von Martin Lager 4. August 2022
Die VWJ bezieht Stellung zur emotional diskutierten Thematik eines integrierten Bachelors (LL.B.) im Jurastudium. Dabei legen wir unsere Ansicht zu den notwendigen Rahmenbedingungen einer etwaigen Einführung dar und ergänzen die Diskussion um eine neue Perspektive: die der Wirtschaftsjuristinnen und -juristen.
von Martin Lager 14. Juni 2022
Hintergründe zum Cover & Interview des DiALOG-Magazins mit einigen aktiven Mitgliedern der VWJ
von Alexander Keilbach 5. Juni 2022
Der Beitrag widmet sich dem Berufsfeld der Insolvenzverwaltung aus der Perspektive von Wirtschaftsjuristinnen und -juristen und zeigt auf, warum der Studiengang Wirtschaftsrecht sich hervorragend eignet, um in der Insolvenzverwaltung tätig zu werden.
von Tessa Irrgang 20. Februar 2022
Wirtschaftsrecht - ein Studiengang, aber zu viele Möglichkeiten? Nichts Ganzes und nichts Halbes? Keine umfassende juristische Breitbandausbildung im klassischen Sinne, keine Staatsexamina, ein die Entscheidungsunfreudigkeit der heutigen Jugend förderndes Konstrukt? Die negative Kritik an der Modernisierung der juristischen Ausbildungsmöglichkeiten ist groß. Und doch öffnet genau dieses Studium den Absolventinnen und Absolventen einen Zugang zum Markt, der kaum Grenzen aufweist. Durch gesellschaftsrechtliche und liegenschaftsrechtliche Nischenspezialisierung bereitete mich das Studium nicht nur auf einen sauberen Einstieg in Unternehmen oder Wirtschaftskanzleien vor, sondern bot mir die Möglichkeit, mit tiefgreifendem rechtlichen Verständnis in einen relativ exklusiven Teil des Marktes einzusteigen - ins Notariat - und das, ohne Volljuristin zu sein. Der Notar als Öffentliche Stelle in seiner ganzen Ehrwürdigkeit bleibt in Berlin eine geschützte Position, nur erreichbar über die Befähigung zum Richteramt und eine qualifizierte Weiterbildung zum Anwaltsnotar. Ich muss zugeben, dass ich dieser Tatsache kritisch gegenüberstehe, stellt unsere spezialisierte wirtschaftsjuristische Ausbildung mit Praxisbezug doch in meinen Augen eine ebenso solide Grundlage dar, um indirekt die Wirtschaftswelt mitzugestalten. Doch natürlich, es gibt eben juristische Bereiche, die unser Studium nicht abdeckt, wie das im Notariat so wichtige Erb- und Familienrecht. Ist dies der springende Punkt, weshalb es uns verwehrt bleiben sollte, die Weiterbildung zum Notar oder zur Notarin zu absolvieren? Eine Weiterbildung, die noch einmal eben jene Themenschwerpunkte notarspezifisch aufarbeitet und aus einem neuen Blickwinkel lehrt? Obwohl doch das Metier des Notars eine einzigartige Brücke bildet, zwischen einer staatlichen Institution und der Wirtschaftswelt. Ebenso wie auch der Beruf des Wirtschaftsjuristen eine Brücke schafft zwischen Wirtschaftswelt und dem Rechtswesen. Während ich so über die Parallelen und Diskrepanzen dieser Gegenüberstellung grübele, bleibt mir wohl doch erst einmal nur die Position als qualifizierte Mitarbeiterin im Notariat, um die Wirtschaftswelt indirekt mitgestalten zu können. In den Bereichen des Vertragswesens, der Gründungsprozesse, bei der Begleitung der Gesellschaften im Alltagsgeschäft und natürlich im allumfassenden Immobilienwesen kann ich mein Studium direkt in die Praxis umsetzen, doch immer mit dem Hintergedanken, dass meine Ausbildung so viel mehr Potential schafft. Vielleicht ist es an der Zeit umzudenken und mit moderner Umstrukturierung des Rechtswesens die Exklusivität der Notariate ein Stück weit aufzubrechen und Raum zu geben, für modernes Denken und Anpassung an die junge, aufgeschlossene Nachwuchsgeneration der Wirtschaftsjuristinnen und Wirtschaftsjuristen.
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